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Imam Sādiq (a.s.)

Imam Sādiq (a.s.)

Von: Ayatollah Motaharie

Abkürzung: a.s. Frieden sei mit ihm bzw. Ihnen [caleyhis-sal~m, caleyhumma sal~m]

Vergessen wir nicht:

Abgesehen von Imam Ali, Imam Hassan, Imatn Ridā und Imam Sādiq (a.s.) war den übrigen Imamen niemals auch nur die kleinste Gelegenheit zum Kalifat gegeben. Und auch was Imam Sādiq anbelangt, so hatte er in praxi niemals das Kalifat angetreten, wenngleich auch die Möglichkeit dazu -in gewisser Weise - bestand. Folgende zwei Fragen stellen sich hier:

Zum einen - sein Imamat fiel in die letzte Zeit der Umawiden-Herrschaft und den Beginn der Abbassiden-Kalifen. Dieweil die Abbassiden die verworrene innenpolitische Situation nutzten und das Kalifat an sich nahmen, ließ sich Imam Sādiq diese Gelegenheit entgehen.

Warum? Was veranlaßte ihn dazu?

Und wie war es zu dieser Gelegenheit gekommen?

Dadurch, daß immer mehr Stimmen gegen die Bani Umayyah laut wurden. Sowohl in den Reihen der Araber als auch in Iran. Denn Unzucht und Unsittlichkeiten im herrschenden Flügel wuchsen von Tag zu Tag an. Jene der Gesellschaft, die sich getreulich an das Wort Gottes hielten, hatten das Unwesen der Umawiden-Kalifen erkannt und wußten, wie sehr

 

Gerade die Großen des Islam und ganz allgemein die gottorientierten Kreise im Lande schikaniert und entrechtet wurden. Daß die Bani Umayyah keinerlei Eignung zum Kalifat - das heißt zur Regie in der islamischen Welt besaßen - war kein Geheimnis mehr. Nach und nach waren den Leuten die Augen aufgegangen. Besonders nach dem Schahādat Imam Hussayns (a.s.) begannen sie zu begreifen. Ihr Unmut und Widerwillen gegen die Umawiden-Herrscher zeigte sich immer deutlicher...

Es kam zu Aufständen. Beispielsweise zu der Widerstandsbewegung des Zayd Ibn Ali Ibn al Hussayn oder der des Yahyā Ibn Zayd Ibn Ali Ibn al Hussayn. Das Image der Bani Umayyah schwand immer mehr, besonders ihr religiöses...

Wir alle wissen, woran das lag. Sie gaben sich in aller Öffentlichkeit Wein und Trunkenheit hin und trieben es in ihrem lasterhaften Lebenswandel bis zum Exzess. Nur zu natürlich, daß niemand mehr an ihre Religiosität glaubte bzw. daran, daß sie dem Wort Gottes oder dem Propheten verbunden waren.

Ganz abgesehen davon aber führten sie sich als Gewalt- und Schreckensherrscher auf. Sie drangsalierten, knechteten, schikanierten, verfolgten und mordeten. Wie beispielsweise Hağāh Ibn Yussuf in Irak oder jene, die in Khorāssān - im Nordosten Irans - ihr Unwesen trieben. Daher ist es nicht verwunderlich, daß insbesondere die Iraner und vor allen Dingen die Khorāssāner59 heftige Antipathie gegen die Bani Umayyah entwickelt hatten. Man unterschied nun bewußt zwischen Islam und Kalifat.

Einige Aufstände der Alawiyin vvaren von erstaunlicher Wirkung auf die Bevölkerung Khorāssāns. Wenngleich auch die Aufständischen selbst ums Leben gekommen waren, so machte sich aber doch die propagandistische Auswirkung ihrer Bewegung in der islamischen Welt spürbar bemerkbar.

Zayd, ein Sohn Imam Zayn ul 'Ābidins (a.s.), hatte sich im Raum Kufeh zum Aufstand erhoben. Die Kufaner hatten sich um ihn geschart, ihm den Treueid geschworen. Doch wiederum hatten sie - bis auf einige wenige - ihr Versprechen gebrochen. Unendlich grausam war Zayd daraufhin zu Tode gebracht worden - in der Nähe Kufehs.  Seine Freunde wollten seinen Leichnam an einer Stelle begraben, die niemand kannte und wußte. Und so hatten sie zu nächtlicher einen Wasserlauf abgestaut, eine Grube ins Flußbett gegraben, Zayds Leichnam hineingelegt und das Wasser wieder zum Fließen gebracht. Der, der das Grab ausgeschaufelt hatte, verriet jedoch, wo es war. Und  so  geschah  es,  daß  nach  ein  paar  Tagen   der  Leichnam  Zayds herausgeholt und an den Galgen gehängt wurde, wo er lange Zeit - wie berichtet wird, vier Jahre lang – hing.

59 hier geht es um das weite Gebiet "Khorāssān" jener Zeit

 

Nun hatte Zayd aber einen Sohn, namens Yahyā. Auch er erhob sich zu einem Aufstand, der jedoch niedergeschlagen wurde. Yahyā ging nach Khorāssān. Sein Einfluß auf die Bevölkerung dort war erstaunlich groß. Und obwohl er in seinem Kampf gegen die Bany Umayyah sein Leben verlor, so behielten ihn die Khorāssāner doch in treuer Erinnerung. Sie hatten ihn gern und schätzten ihn sehr. Auch nach seinem Tode. Der Widerstand der Nachkommen des Gesandten Gottes gegen das korrupte Kalifat war ihnen nun erstmalig so richtig bewußt geworden. Vergessen wir nicht, daß es damals, in jener Zeit, ja noch keine so schnelle Nachrichtenübermittlung gab wie heute...

Es war Yahyā, der das, was Imam Hussayn (a.s.) und seinem Vater Zayd geschahen war und sich auch sonst noch so alles ereignet hatte, in jenem nordöstlichen Raum Irans verbreiten und vermitteln konnte.

Kurz - man schätzte ihn in dem weiten Gebiet Khorāssān so sehr, daß die Bevölkerung, die sich gegen die Bani Umayyah zum Widerstand erhoben hatte, siebzig Tage lang den Tod Yahyāh Ibn Ziads beweinte. (Das aber zeigt wieder einmal, daß Revolutionen, die zunächst erfolglos zu sein scheinen, späterhin dennoch zum Tragen kommen können.)

Jedenfalls waren in Khorāssān die Voraussetzungen zu einem "Umbruch" gegeben. Allerdings nicht zu einer hundertprozentigen Revolution - aber Unzufriedenheiten im Lande gegen das herrschende Regime waren deutlich zu spüren.

Die Abbassiden nutzen die Gelegenheit...

Wie gesagt - die Abbassiden ließen sich die Gelegenheit nicht entgehen und griffen zu. Drei Brüder waren es: Ibrahim Imam, Abu 1 Abbās Saffāh und Abu Ğa'far Mansur. Diese drei entstammten dem Geschlecht des Abbās Ibn Abdul Mutalib, des Onkels des Gesandten Gottes. Genauer - sie sind Söhne Abdullāhs. Abdullāhs, des Sohnes Alis, der - also Ali - wiederum Sohn des Abdullāh Ibn Abbās ist. Sie machten sich also die chaotische innenpolitische Situation gegen Ende der Umawiden-Dynastie zunutze.

Wie sie es anstellten?

Nun, sie bildeten insgeheim ihre "Missionare" aus und riefen eine Geheimorganisation ins Leben, die sie von Irak, Higāz und Damaskus aus steuerten. In aller Verschwiegenheit. Ihre "Missionare" aber wirkten in nah- und weitentfernten Regionen und riefen zu Aufstand und Sturz des Bani Umayyah-Regimes auf.

 

Dies aber taten sie nicht etwa im Namen einer bestimmten Person, sondern, wie sie sagten, im Namen 'eines aus dem Hause des Gesandten Gottes, der die Sympathie der Muslime besitzt'.

Nebenbei - daß sie so agierten, läßt erkennen, wie sehr die Bevölkerung dem Islam und "Ahl ul Bayt" des Gesandten Gottes zugeneigt war. Ein Argument dafür, daß diejenigen, die heute versuchen, diese Khorāssān Aufstände - wie den des Abu Muslim - als "iranische Revolten" darzustellen, also als Aufstände, die in patriotischen und nationalen Beweggründen fußen, auf dem Holzweg sind. Hunderte Zeugnisse und Beweise gibt es hierfur. Auf diesen Punkt möchte ich aber hier nicht weiter eingehen, da es uns zu weit vom eigentlichen Thema entfernen würde.

Jedenfalls, um was es den Leuten bei diesen Aufständen und Revolutionen ging war, daß sie sich von den Bani Umayyah befreien und beim Islam Zuflucht suchen wollten. Ihre Parolen waren islamisch geprägt. Zudem, in dem weiten Khorāssān jener Tage gab es keine Macht, die die Bevölkerung, welche sich zum Aufstand gegen die Umawiden-Herrscher aufgemacht hatte, zu islamischen Devisen - statt iranischen - gezwungen hätte. Es wäre den Leuten damals ganz sicherlich ein leichtes gewesen, sich nicht nur des Kalifats, sondern auch des Islams entledigen zu können.

Jedoch das wollten sie nicht. Sie kämpften gegen das herrschende Kalifat - im Namen des Islam und für den Islam. Deswegen hatten sie auch am allerersten Tag, da sie im Jahre 129 n.H. in Marw, und zwar in dem Dorf "Sefidenğ" ihre revolutionäre Bewegung bekanntgaben - sie hatten dazu den Tag des Ramadānfestes gewählt und ihren Aufstand im Anschluß an das Festgebet ausgerufen - jenes bekannte koranische Wort:

أُذِنَ لِِِِلَّذینَ یُقاتَلونَ بِاﱠنهُمْ ظُلموا وَانﱠاﷲعَلی نَصْرِهِم لَقَدیرِ

'Zu kämpfen ist denen erlaubt, die angegriffen werden - daram, weil ihnen Unrecht geschieht. Und Gott hat fürwhahr die Macht, ihnen zu helfen."60

Welch trefflicher Koranvers! Solange die Muslime noch in Mekka und der Tyrannei der Quraisch ausgeliefert waren, ward ihnen die Erlaubnis zum "Gihād" nicht gegeben. Als sie dann endlich in Medina zubrachten, wurde ihnen - als Tyrannisierten - der Ğihād zugestanden. Damit sie ihre Rechte verteidigten.  Ganz allgemein begann der islamische Gihād mit diesem Koranvers.

60 Sure 22, Hağ, Vers 39

 

Ein weiteres koranisches Wort, das sie als Parole einsetzten, lautet:

یا ایها النّاسُ ٳنّا خَلَقْنا کُمْ مِنْ ﺬڪٍَرﻮَأُُﻧْثی ﻮَ ﺠَﻌَلْنا کُمْ شُعوباً وَ ﻗَبائلَ لِتَعارَفوا ﺇنﱠ اَکْرَمَکُمْ عِنْدَ اﷲِ اَتْقکُمْ

"Ihr Menschen - wir haben euch aus Mann und Weib erschaffen und euch zu Völkern und Stämmen gemacht. Damit ihr einander erkennen möchtet. Wahrlich, der Angesehenste von euch ist vor Gott der Tugendhaft Gottesfürchtigste unter euch..." 61

Unter anderem ein Hinweis darauf, daß die Bani Umayyah entgegen islamischem Gebot und Denken das Arabertum bevorzugten und dem Araber Privilegien einräumten, die sie dem Nicht-Araber vorenthielten. Wie gesagt, ein offenkundiger Verstoß gegen den Islam. Mit diesem Koranvers, mit dieser ihrer Parole, erinnerten sie nun ihrerseits den Araber daran, sich auf den IsJam zu besinnen.

In diesem Zusammenhang möchte ich auf einen Hadit hinweisen (in "Khadamāt mutteqābil Islam wa Iran" 62 bin ich auf ihn eingegangen), laut dem der Prophet einen Traum, in dem sich ein weißes Schaf einer Herde schwarzer Schafe anschloß. Es paarte sich mit ihnen und Nachwuchs stellte sich ein.

Der Prophet deutete den Traum wie folgt: Die "Ağam" (Nicht-Araber, Iraner) werden sich dem Islam anschließen und sich mit euch (Arabern) vermischen. Eure Männer werden ihre Frauen heiraten und ihre Frauen eure Männer. (Und nun folgt der Satz, um den es mir geht:) Und ich sehe den Tag voraus, da sie, die Iraner, gegen euch kämpfen werden, um des Islam willen. Ebenso wie ihr eines Tages gegen sie - des Islam wegen - kämpfen werdet...

Daß heißt: Eines Tages werdet ihr gegen sie kämpfen, damit sie Muslime werden. Und dann wird ein Tag kommen, da sie gegen euch kämpfen werden, damit ihr zum Islam zurückkehrt. Jedenfalls, dieser Hadit wird durch den Kampf und Aufstand der Khorāssāner bewahrheitet.

Wie gesagt - diese Bewegungen wurden gesteuert durch eine gut funktionierende Geheimorganisation. Auch Abu Muslim war von den Bani Abbās nach Khorāssān geschickt worden. Daß er den Aufstand selbst organisiert und in die Wege geleitet hätte, davon kann nicht die Rede sein. Die Abbassiden hatten zuvor schon ihre Propagandisten dorthin geschickt, damit sie die Bevölkerung Khorāssāns vorbereiteten und einluden zum Aufstand. Nebenbei, welcher Abstammung Abu Muslim war, ist nie ganz

61  Sure 49, Huğurāt, Vers 13

62   Übsetzt etwa: 'lslam, Iran und wie sie einander förderten'

 

aufgeklärt worden. Ob er Araber war oder Iraner, ob er aus Isfahan kam oder aus Khorāssān, konnte bisher nicht genau festgestellt werden. Jedenfalls aber war er ein junger Sklave - etwas über zwanzig Jahre alt - als Ibrahim Imam ihm begegnete. Und da dieser erkannte, daß er intelligent, fähig und vital war, schickte er ihn nach Khorāssān. Darum, weil er sich sagte, daß Abu Muslim bestens geeignet sein müßte, die Aufgabe, die er ihm zugedachte, auszuführen. Und so war es auch. Abu Muslim erwies sich als erstaunlich geschickt und umsichtig. Man scharte sich um ihn, folgte ihm, und er war es dann auch, der die Bewegung in Khorāssān vorantrieb und anführte.

Zugegeben - Abu Muslim war ein wirklich fähiger Anführer. Allerdings: fähig in politischer Hinsicht, denn abgesehen davon war er ein "Unmensch". Das heißt, er war jemand, der nicht den blassesten Hauch von Menschlichkeit hatte...

Man kann Abu Muslim mit Hağāğ Ibn Yussuf vergleichen. Auch Hağāğ war sehr intelligent, begabt und ein fähiger Anführer. Eine echte Stütze Abdul Maleks. Doch auch er war in hohem Maße inhuman. Von Menschlichkeit hatte er nicht die leiseste Ahnung. Wie berichtet wird, hat er während seiner Amtszeit 120.000 Menschen das Leben genommen. Abu Muslim hat - wie es heißt - 600.000 Menschenleben auf dem Gewissen. Ein geringfügiger Anlaß genügte, und er gab sogar seinem besten Freund den Tod.

Aber - ob jemand nun ein Araber war oder ein Iraner, war fiir ihn absolut unwichtig. Von daher gesehen kann also nicht gesagt werden, daß er sich aus nationalen oder patriotischen Gründen zum Aufstand erhoben habe.

Nirgendwo wird darüber berichtet, daß Imam Sādiq (a.s.) an dieser Bewegung irgendwie beteiligt gewesen wäre. Wohl aber die Bani Abbās - sie hatten kräftig ihre Hand im Spiel. Und sie waren sogar bereit, ihr Leben hinzugeben. nur um das Kalifat an sich zu bringen. Wiederholt sagten sie: Entweder werden wir getötet und ausgelöscht oder aber treten das Kalifat an...

Ein weiteres Moment ist dieses:

Die Bani Abbās hatten zwei Männer, die die Bewegung führten. Einen in Irak, in Kufeh, der ganz im Geheimen wirkte. Und einen in Khorāssān. Es waren Abu Salmah Khallāl und Abu Muslim. Abu Salmah aktivierte sich -insgeheim - in Kufeh und Abu Muslim in Khorāssān, wohin er geschickt worden und wo er erstaunliche Erfolge bewirkte.

Abu Salmah war "Mann Nr. Eins" und Abu Muslim "Mann Nr. Zwei". Abu Salmah wurde als "Wazir Äle Muhammad" bezeichnet und Abu Muslim als "Amir Äle Muhammad".

 

Abu Salmah war ein sehr kluger, umsichtiger Mann, Politiker und hervorragender "Dirigent". Er war gebildet und redegewandt. Eine der Häßlichkeiten Abu Muslims beruhte eben darin, daß er Abu Salmah seine Qualitäten neidete. Seine Mißgunst ging soweit, daß er von Khorāssān aus gegen Abu Salmah intrigierte und ihn in schlechtes Licht zu setzen versuchte. Mit dem Ziel, Abu Salmah aus dem Weg zu räumen. So schrieb er beispielsweise an Abu 1 Abbās Saffāh, daß von Abu Salmah ernste Gefahr ausgehe, weswegen er tunlichst beseitigt werden müsse. Ähnliches schrieb er an die Onkel und Nahestehenden Saffāhs.

Kurz - er intrigierte und provozierte. Saffah aber ging nicht darauf ein, soviel man ihn auch bearbeitete. Sondern er sagte: 'Warum soll ich jemanden, der mir so große Dienste erwiesen hat und mir immer so opfermutig und treu zur Seite stand, umbringen?' Man gab ihm zu bedenken: 'Abu Salmah verfolgt in Wirklichkeit verräterische Ziele. Er will den Āle Abbās das Kalifat entringen, weil er es für die Āle Abi Tālib möchte.' Die Antwort Saffahs war jedoch nur: 'Daß Abu Salmah solches beabsichtigt, habe ich nicht feststellen können. Und wenn es auch so sein sollte, so ist dies höchstenfails eine fixe Idee von ihm. Niemand aber kann sich von fixen Ideen und derlei freisprechen.'

Jedenfalls, so sehr sich auch Abu Muslim bemühte, Saffāh gegen Abu Salmah aufzuhetzen - es gelang ihm nicht. Aber er wußte, daß Abu Salmah über die Intrigen, die gegen ihn im Gange waren, erfahren hatte. Und so sorgte er nun selbst dafür, daß Abu Salmahs Leben ein Ende gesetzt wurde.

Das war so: An vielen Abenden ging Abu Salmah zu Saffāh. Zu vertraulichen Unterredungen. Wenn er heimkehrte, war es bereits tiefe Nacht. Abu Muslim wußte davon, und so beauftragte er ein paar seiner Leute, Abu Salmah, zu später Nachtstunde, zu töten. Da nun aber auch einige aus der Umgebung des Saffahs den oder die Mördcr begleitet hatten, blieb unaufgedeckt, wer es war, der in jener Todesnacht Abu Salmah zu Tode brachte.

Dies trug sich gleich in den ersten Jahren des Kalifats Saffāhs zu.

Und nun zu einem Geschehen, zu dem es ebenfalls viele Fragen gibt:

Abu Salmah

an Imam Sādiq und Abdullāh

Wie Mas'udi in "Murüğ ud Dahab" schreibt, war Abu Salmah erst ganz zuletzt auf den Gedanken gekommen, das Kalifat den Āle Abbās - für die Āle Abi Tālib - zu entringen. Das heißt also, während der gesamten Zeit seiner

 

insgeheimen Öffentlichkeitsarbeit arbeitete er fur die Bani Abbās. Bis diese im Jahre 132 n.H. offiziell als Sieger in Irak auftraten.

Jedoch bis es soweit war, engagierte sich Ibrāhim Imam - insgeheim - in Damaskus. Sozusagen im Untergrund. Er war der ältere Bruder, der das Kalifat - nach dem Sieg über die Bani Umayyah - antreten sollte. Ibrāhim führte Krieg gegen Marwān, den letzten Umawiden-Herrscher. Und da er annahm, daß man sein Versteck ausfindig machen und ihn töten würde, schrieb er ein Testament, daß er durch einen seiner Leute seinen Brüdern nach "Humaymah" - in der Nähe von Kufeh - schickte. In dem Testament legte er den künftigen politischen Kurs der Āle Abbās fest und bestimmte seinen Nachfolger. Er schrieb: 'Da ich aller Wahrscheinlichkeit nach getötet werde, soll mein Bruder Saffāh mein Nachfolger sein.' (Obwohl Saffāh jünger als Mansur war, hatte er ihn als seinen Nachfolger gewählt.) Und er gebot ihm: 'Es ist nun die Zeit gekommen, daß ihr Humaymah" verlaßt und nach Kufeh geht. Haltet euch jedoch dort einstweilen noch verborgen, wenngleich es nicht mehr lange dauern wird, daß ihr euch zeigen könnt.'

Wie Ibrāhim geahnt hatte, wurde er ums Leben gebracht. Sein Brief aber erreichte seine Brüder, die daraufhin insgeheim nach Kufeh zogen. Dort hielteān sie sich noch eine Zeitlang im Untergrund verborgen. Ebenso Abu Salmah, der ebenfalls in Kufeh im Untergrund wirkte und die Umsturzbewegung - also zum Sturz der Bani Umayyah - anführte. Zwei, drei Monate später begannen sie, in der Öffentlichkeit aufzutreten, kämpften gegen die Umawiden und trugen den Sieg davon.

Es wird berichtet: Nachdem Ibrāhim Imam getötet worden war und Saffāh das Ruder in die Hand genommen hatte, bedauerte Abu Salmah seine Unterstützung für die Bani Abbäs und verfolgte nun das Ziel, das Kalifat den Āle Abi Tälib zu erkämpfen. Er schrieb einen Brief - in zwei Exemplaren -und schickte ihn heimlich nach Medina. Eines der Exemplare war an Imam Sādiq (a.s.) gerichtet, das andere an Abdullāh Ibn Hassan Ibn Ali Ibn Abi Tālib.63 Seinem Boten trug Abu Salmah auf, die Briefe den Empfängern in

63 Imam Hassan (a.s.) hatte einen Sohn, der ebenfalls "Hassan" hieß. Man nannte ihn "Hassan Mutann", das heißt: "Hassan der Zweite". Hassan Mutannä stand in Kerbela Abā Abdullāh - Imam Hussayn (a.s.) - zur Verfiigung. Kämpfte und wurde verwundet. Er lag inmitten der Toten und Verwundeten. Einer der Krieger Ubaydullah Ziads fand ihn. Da er mütterlicherseits mit ihm verwandt war, nahm er ihn mit sich und bat Ubaydullah Ziad, ihn zu verschonen. Der Bitte wurde nachgegeben. Hassan Mutannā gesundete. Er heiratete später Fātimah bint ul Hussayn - eine Tochter Imam Hussayns (a.s.)- Auch sie - ein Kind noch - war in Kerbela zugegen. Man berichtet, daß sie sehr schön gewesen sei. Kurz, sie heirateten einander, und eines ihrer Kindcr war dieser Abdullāh, dem eines der beiden Brief-Exemplare galt. Abdullāh war mütterlicherseits ein Enkel Imam Hussayns und väterlicherseits Enkel Imam Hassans. Er sagte selbst: 'Mütterlicherseits und väterlicherseits bin ich ein Sohn des Propheten und Fātimah-Zahrās.'

 

aller Verschwiegenheit zuzustellen, jedoch ihnen nicht zu sagen, daß ein zweites Exemplar einem anderen ebenfalls zugestellt ward.64

Jedenfalls teilte er einem jeden der beiden Empfanger mit, daß es von ihm abhängig sei, in wessen Hand das Kalifat zu liegen kommt. Auch die Lage in Khorāssān sowie Kufeh habe er in der Hand. Wie er sagte: 'Bisher sorgte ich dafür, daß sich alles zugunsten der Bani Abbās entwickelt. Doch wenn Du einverstanden bist, werde ich mich dafür einsetzen, daß sich die Dinge zu deinem Gunsten wenden.'

Wie reagieren sie?

Der Bote brachte zuerst - es war zu nächtlicher Stunde - Imam Sādiq (a.s.) den Brief Abu Salmahs. Danach erst ging er zu Abdullāh Mahd. Die Reaktion der beiden war völlig unterschiedlich.

Der Bote überreichte Imam Sādiq das Schreiben Abu Salmahs mit den Worten: 'Ich überbringe dir den Brief von deinem Anhänger (Schi'it) Abu Salmah.'

Der Imam entgegnete: 'Abu Salmah ist nicht mein Anhänger.'

Der Bote: 'Jedenfalls ist das ein Brief von ihm, und er erwartet eine Antwort.'

Der Imam ließ sich eine Leuchte bringen.

Dann, als man sie ihm gebracht hatte, nahm er den Brief und zündete ihn - ohne ihn gelesen zu haben - an der Flamme der Leuchte an. Und er sprach:

'Richte deinem Kameraden aus, daß dies meine Antwort ist.'

Folgendes fügte er noch hinzu:

O du, der du ein Feuer entfachst, dessen Licht einem anderen leuchtet. Und o du, der du in der Steppe Reiser sammelst und zusammenträgst -

glaubst du, du habest sie in deinen Gurt gebunden?!

Weißt du denn nicht, daß du sie auf den Gurt eines anderen gelegt

und er kommen und sie forttragen wird? 65

 

64 Einer anderen Überlieferung gemäß hatte Abu Salmah zwei Boten geschickt

65   Hierzu folgende Erklärung:  Die  Reisersammler legen ihre  Reiser zunächst auf einen
Reisergurt, um sie, wenn das Bündelgroß genug war, mit dem Gurt zusammenzubinden und
fortzutragen. Wenn sich nun jemand irrt und seine Reiser auf denGurt eines andercn legt, so

 

Was meinte der Imam mit diesem Vers? Ganz sicherlich wollte er damit veranschaulichen, wie sich jemand um etwas bemüht, ein anderer aber die Früchte dieser Bemühunen erntet.

Wollte er Abu Salmah damit wohl sagen: Abu Salmah, Unglückswurm, soviel Mühe gibst du dir, aber ein anderer trägt den Gewinn davon, nicht du... ?!

Oder aber deutete er damit auf sich selbst hin? Nämlich: Wenn er Abu Salmahs Vorschlag zu Mitarbeit annahm, würde ein anderer den Nutzen daraus ziehen... ?!

Jedenfalls nahm er den Brief, zündete ihn an und verbrannte ihn. Das war seine Antwort.

Der Bote ging fort, hin zu Abdullāh Mahd und übergab ihm das Schreiben Abu Salmahs. Wie sehr freute sich Abdullāh darüber! Er war überglücklich über Salmahs Angebot. So sehr, daß er - wie Mas'udi schreibt -gleich am nächsten Morgen, in aller Früh, zu Imam Sādiq (a.s.) ritt.

Imam Sādiq (a.s.) grüßte ihn in aller Freundlichkeit. Er wußte bereits, um was es ging. Warum Abdullāh ihn zu so früher Morgenstunde aufsuchte. Und er sprach:

'Es scheint, als ob du etwas Neues in Erfahrung gebracht hast...'

Abdulläh erwiderte: 'Ja, ganz neu. Brandneu.'

Auf den Brief in seine Hand hinweisend fügte er hinzu:

'Dies ist ein Brief Abu Salmahs an mich. Er schreibt in dem Brief, daß unsere Schi'ah in Khorāssān bereit ist, dafür zu sorgen, daß das Kalifat und die Führung der Gesellschaft in unsere Hand kommt. Abu Salmah fordert mich auf, zu akzeptieren...'

Mas'udi 66 schreibt: Imam Sādiq sagte zu Abdullāh:

'Seit wann sind die Khorāssāner deine Anhänger, daß du sagst: "Unsere Schi'ah"...?!

Hast du etwa Abu Muslim nach Khorāssān geschickt? Hast du den Leuten in Khorāssān aufgetragen, schwarze Kleidung zu tragen und daß die schwarze Kleidung ihr Zeichen sein soll?!67 Hast du etwa die, die aus

wird dieser sie forttragen. Das heißt, nicht der, der die Reiser gesammelt hatte, erhält den Lohn für seine Mühen, sondem ein anderer.

66 Mas'udi ist Historiker. Zu der Frage, ob er Sunni war oder Schi'it, soviel: Gemäß unserem
Verständnis war er Sunnit. Mas'udi schätzte die Raschidin-Kalifen (Abu Bakr, Omar) sehr
und ebenfalls die Imame (a.s.). Aller Wahrscheinlichkeit nach war er Sunnit und vor allem
Dingen ein Historiker "erster Klasse". "ltbātul Warriyah" wird ihm zugeschrieben.

67 Die schwarze Kleidung war, wie berichtet wird, als Zeichen der Trauer um Yahyā Ibn Zayd,
üblich geworden.

 

Khorāssān hierher kamen, gerufen?!68 Kennst du überhaupt einen einzigen von ihnen?'

Abdullāh war verbittert über diese Antwort. Er haderte, begann zu disputieren. Sagte: 'Was redest du da? Sie wollen meinen Sohn Muhammad als Kalifen wählen. Er ist der verheißene Mehdi.'

Imam Sādiq erwiderte: 'Bei Gott, er ist nicht der verheißene Mehdi. Und wenn sich dein Sohn Muhammad zum Aufstand erhebt, so wird er dabei gewiß den Tod finden.'

Abdullāh entrüstete sich immer mehr, bis er schließlich - recht dreist -sagte:

'Du bist ja nur neidisch...'

Der Imam daraufhin: 'Bei Gott, ich habe nichts als dein Wohl im Sinn. Sonst nichts. Und es ist dir nicht zum Wohle, was dir in dem Brief vorgeschlagen wird. Ganz abgesehen davon, daß nichts erreicht wird.'

Er fügte noch hinzu: 'Bei Gott, den gleichen Brief, den du erhalten hast, habe ich auch bekommen. Nur - ich habe ihn ungelesen verbrannt.'

Abdullāh entfernte sich, verstimmt und hadernd...

Dies trug sich zu, als sich in Irak bereits neue Entwicklungen abzeichneten.

Welche Entwicklungen?

Die Bani Abbās betreten die Bühne...

Und Abu Muslim ist es sehr daran gelegen, Abu Salmah zu beseitigen. Die Onkel Saffāhs fördern dies und unterstützen ihn dabei. Mit Erfolg. Denn - wie gesagt - Abu Salmah wird umgebracht.

Noch ist der Bote aus Medina nicht zurück, noch ist er in Kufeh nicht angelangt, als Salmah getötet wird. Das heißt also, niemals hat er erfahren, was Abdullāh Mahd ihm geantwortet hat...

Noch einmal:

Wie Mas'udi schreibt - andere haben die Begebenheit ein wenig anders, das heißt weniger ausführlich berichtet - war Abu Salmah durch und durch

68 ln jenen Tagen waren viele aus Khorāssān nach Irak gereist. Sie unterstützten die Bani
Abbās und revoltierten an der Seite der Araber gegen dicUmawwiden.

69 Ich möchtc hier weder Mas'udi bestätigcn noch jene, die ein wenig anders, weniger
eingehend berichten. Mas'udi schreibtausführlicher über dic Angelegenheit, dieweil die
übrigen lediglich darauf hinweiscn, daß Abu Salmah einenBrief an Imam Ga'far Sādiq (a.s.)
schrieb, dieser den Brief verbrannte undnicht beantwortete. Mehr teilen sie dazu nicht mit,
wohl aber Mas'udi.

 

Politiker. Nicht aber - wie Imam Sādiq (a.s.) sagt - einer der Schi'ah bzw. ein Anhänger von ihm.

Mit einem Male aber ändert Abu Salmah seine Politik. Und zwar aus Gründen, die uns recht wohl bekannt ist. Bisher hatte er "Āle Abbās" zu Diensten gestanden und für sie gearbeitet. Das aber will er nicht länger.

Doch für jeden kann er nicht die Werbetrommel rühren und ihn als Kalifen propagieren. Die Bevölkerung würde mit jemandem, der nicht zur Familie des Gesandten Gottes gehört, nicht einverstanden sein. Er muß also für jemanden werben, den die Leute akzeptieren.

Wie gesagt, für die Bani-Abbās ist er nicht länger bereit. Von ihnen soll es also niemand sein. Dann aber jemand aus den Reihen der "Āle Abi Tālib".

Zwei Männer gibt es bei den "Āle Abi Tālib", die besonders angesehen sind. Abdullāh Mahd und Imam Sādiq. Und so schreibt er gleichlautende Zeilen an sie beide. Wer von ihnen "zugreift" - nun, den will er "nutzen". Lautere oder religiöse Momente spielen hier also keinerlei Rolle. Abu Salmah geht es lediglich um ein "Mittel zum Zweck". Wer sich von den beiden bereiterklärt, soll sein "Mittel" sein.

Sein Planen aber ist umsonst, denn noch hat er die Antwort auf seine Zeilen nicht erhalten, als er - Abu Salmah - auch schon umgebracht wird. Sein Plan fällt damit ins Wasser. Aus, vorbei...

Nebenbei, ich (Schahid Motahhari) wundere mich über einige, die sich zwar als Historiker bezeichnen, aber dennoch äußern: 'Warum ist Imam Sādiq (a.s.) denn nicht auf den Vorschlag Abu Salmahs eingegangen?!'

Warum nicht?

Ist doch völlig offenkundig: Die Voraussetzungen dazu waren nicht gegeben. In keinster Weise. Weder war ein aufrichtiger, uneigennütziger Vorschlag gemacht worden, noch lagen Bedingungen vor, die das Eingehen auf einen solchen Vorschlag gerechtfertigt hätten.

Um deutlich zu machen, wie Imam Sādiq (a.s.) den Bani Abbās gegenüber eingestellt war - und zwar von Anfang an - folgende Begebenheit, die wir dem Buch Abul Farag Isfahānis entnehmen. Zuvor noch dieser Hinweis. Ich zitiere Abul Farag Isfahāni, weil er präziser und ausführlicher über den Vorfall berichtet. Er gehört Ahl-Tassannun an und wird, obwohl den Bani Umayyah zugehörig, als unparteiischer Sunnit eingestuft. Deswegen bezeichnet man ihn als "Isfahani", weil er in Isfahan lebte. Aber "Isfahaner" im eigentlichen Sinne des Wortes ist er nicht. Schaykh Mufid zitiert in seinem Werk "Irschād" Überlieferungen dieses Abul Farag, nicht aus Quellen Ahl-Taschayyuhs.

 

Geheimes Treffen der Bani Hāschim

Es begann damit, daß sich ganz zu Beginn, als die Kontra-Umawiden-Bewegung noch in ihren Anfängen lag, die Ältesten der Bani Hāschim in "Abwā' "70 - einem Ort zwischen Mekka und Medina - zu einer geheimen Zusammenkunft einfanden. Es waren Söhne Imam Hassans (a.s.) - d.h. Abdullāh Mahd und dessen Söhne Muhammad und Ibrāhim als auch die Bani Abbās, das heißt Ibrahim Imam, Abu 1 Abbās Saffāh, Abu Ğa'far Mansur und einige ihrer Onkel. Sie waren also zugegen, als Abdullāh Mahd zu den Versammelten sagte: 'Bani Hāschim, ihr seid diejenigen, auf die aller Augen gerichtet sind. Gott hat es gegeben, daß wir uns nun hier treffen konnten. So kommt nun und laßt uns diesem jungen Mann hier (seinem Sohn) den Treueid schwören. Wir wollen ihn zu unserem Oberhaupt wählen und gegen die Bani Umayyah zu Felde treten.'

Wie gesagt, dies trug sich lange vor dem Brief Abu Salmahs zu. Etwa zwölf Jahre zuvor. Noch vor dem Khorāssāner Aufstand. Es war das erste, das in dieser Richtung geschah. In Kürze nun das, was sich zutrug:

Treueid für "Muhammad Nafs Zakyyah"

Zunächst sahen die Bani Abbās die Voraussetzungen für sich nicht gerade günstig, weshalb sie sich sagten: Und wenn es auch nur für den Anfang ist, so tun wir gut daran, zunächst einmal jemanden aus den Reihen "Āle Alis", also jemanden, der besonders beliebt und geachtet ist, anzubringen. Späterhin können wir ihn dann ja aus dem Wege räumen...

Muhammad Nafs Zakyyah schien ihnen der rechte Mann dazu zu sein. Muhammad Nafs Zakyyah, der Sohn des Abdullāh Mahd.

70 In der islamischen Geschichte stoßen wir auf den Namen "Abwā' ". Es ist jener Ort, an dem die Mutter des Propheten Muhammad (s.a.a.s.) starb. Als dieser etwa fünf Jahre alt war, nahm sie ihn mit auf eine Reise nach Medina, denn sie - Aminah - stammte aus Medina. Ihre Verwandten und Angehörigen lebten dort, und der Prophet gehörte somit also mütterlicherseits auch zu Medina. Auf ihrer Rückreise von Medina nach Mekka erkrankte Aminah schwer und starb. Und zwar an besagtem Ort "Abwā' ". Zurück blieben der Knabe Muhammad und Umm Ayman, eine Bedienstete seiner Mutter. Sie kehrten, nachdem Aminah in Abwa' beerdigt worden war, nach Mekka zurück.

Später, als der Prophet bereits nach Medina ausgewandert war und sich dort niedergelassen hatte - etwa im Alter von 53 Jahren - kam er auf einer Reise an jenem Ort Abwa' vorbei. Seine Gefährten berichteten, daß er anhalten ließ und dann - allein - weiterging zu einem bestimmten Platz. Er ließ sich dort nieder, versank in Andacht und Gebet und weinte. Sie wunderten sich über seine Tränen, befragten ihn deswegen und er erklärte ihnen, daß er am Grabe seiner Mutter geweint habe.

 

Wie ich schon sagte, Abdullāh Mahd entstammt mütterlicherseits der Linie Hussayn Ibn Alis und väterlicherseits der Hassan Ibn Alis.

Er - Muhammad Nafs Zakyyah - war ein gottesfürchtiger Mann, sehr gläubig und von erstaunlich gutem Aussehen. Seine Schönheit war sowohl ein Erbteil seiner Mutter - richtiger: seiner Mütter, denn auch die Mutter seiner Mutter war, wie berichtet wird, eine außerordentlich schöne Frau - als auch seines Vaters. Zudem hieß er Muhammad, wie der Prophet. Und sein Vater hieß, wie der Vater des Propheten, "Abdullāh". Darüberhinaus aber trug er ein Mal auf seiner Schulter. Und da es doch in den islamischen Überlieferungen heißt, daß dann, wenn die Erde voller Unheil ist, ein Sohn aus dem Hause des Gesandten Gottes, ein Sohn Zahrās, kommen wird, dessen Name der Name des Propheten und dessen Schulter mit einem Mal gezeichnet ist, glaubten sie, daß dieser Verheißene, der erscheinen und die Gemeinde aus Elend und Unrecht erlösen wird, eben dieser Muhammad Nafs Zakyyah sei. Auch nahmen sie an, daß die Zeit, in der der Verheißene kommen wird, ihre Zeit, in der sie lebten, sein müsse. Jedenfalls waren sie, die Nachkommen aus dem Hause Imam Hassans, fest davon überzeugt.

Was die Bani Abbās anbelangt - nun, entweder glaubten auch sie so oder aber sie gingen von Anfang an mit Trug und List vor.

Jedenfalls, wie Abu l Farag berichtet, erhob sich Abdullāh Mahd und rief die Versammelten zum Treueid für Muhammad Nafs Zakyyah auf. Dazu, sich gegen die Bani Umayyah zu erheben und Gott um den Sieg zu bitten. Und er fuhr fort:

'Leute, ihr wißt ja, der verheißene Mehdi ist dieser mein Sohn. Also kommt und leistet ihm den Treueid!'

An dieser Stelle rief Mansur: 'Nicht als Mehdi, sondern weil er meiner Meinung nach auch ganz einfach der geeignetste zur Führung ist, laßt uns ihm den Treueid leisten!'

Alle stimmten ihm zu und sagten: "Richtig, was er sagt, stimmt. Wir wollen Muhammad den Treueid schwören!' Und so geschah es.

Anschließend, als sie ihm alle den Treueid geleistet hatten, schickten sie nach Imam Ğa'far Sādiq (a.s.)71 Als der Imam kam, erhob sich Abdullāh Mahd, forderte den Imam auf, an seiner Seite Platz zu nehmen und wiederholte nun all das, was er zuvor schon gesagt hatte und meinte: 'Mein Sohn Muhammad ist der verheißene Mehdi, und alle haben ihm bereits den Treueid geschworen. Leiste du ihn ihm nun auch!'

71 Abu 1 Farag berichtet, daß Abdullāh hier gesagt habe: "Schickt nicht nach Ğa'far. Denn wenn er kommt, wird er nicht einverstanden sein. Er wird alles annullieren." Die übrigen abcr sagten: "Nein, bringt ihn her!" Und sie holten ihn. Einige aber verneinen, daß Abdullāh derlei geäußert haben soll...

 

Imam Sādiq (a.s.) aber antwortete:

'Nein, laßt das besser bleiben. Denn wisset, die Zeit jenes Mehdis, den uns der Prophet verhieß, ist noch nicht gekommen. Abdullāh, wenn du auch glaubst, dein Sohn sei dieser verheißene Mehdi, so irrst du dich! Dein Sohn ist nicht der verheißene Mehdi, und die Zeit, da der verheißene Mehdi erscheinen wird, ist noch nicht angebrochen!'

Imam Sādiq sagte also klipp und klar, wie er über die Angelegenheit dachte. Und er fügte hinzu: 'Wenn ihr ihm als Mehdi den Treueid schwören wollt, so werde ich das jedenfalls nicht tun. Denn es ist Lüge, es ist falsch! Er ist nicht der verheißene Mehdi. Auch ist die Zeit des Erscheinens des Mehdis noch nicht gekommen! Wenn es euch aber darum geht, Gutes zu gebieten, Schlechtes zu verwehren und gegen das herrschende Unrecht zu Felde zu ziehen, so bin ich zum Treueid bereit.'

Völlig eindeutig, wie Imam Sādiq (a.s.) darüber dachte. Er war bereit, an ihrem Kampf teilzunehmen, vorausgesetzt, daß es ihnen um das "Gebieten des Guten und Verwehren des Schlechten" ging. Einem solchen Vorhaben hätte er sich angeschlossen. Jedoch war er keinesfalls geneigt, sich einer Sache anzuschließen, die unter dem Zeichen, 'dies ist der verheißene Mehdi', stand.

Sie aber bestanden darauf: 'Doch, dies ist der verheißene Mehdi! Zweifellos!'

Imam Sādiq (a.s.) daraufhin: 'Nun, so Ieiste ich den Treueid nicht!'

Abdullāh war verbittert. Als der Imam ihn so erzürnt sah, sagte er: 'Abdullāh, ich sage dir nicht nur, daß dein Sohn nicht der verheißene Mehdi ist, sondern zudem: Wir Ahl ul Bayt des Gesandten Gottes wissen über geheime Dinge. Zum Beispiel wissen wir, wer Kalif werden wird und wer nicht. Dein Sohn wird nicht Kalif - er wird getötet werden.'

Abu 1 Farag berichtet: Abdullāh war sehr erzürnt und erwiderte: 'Nein, das stimmt nicht. Was du da sagst, ist nicht das, was du weißt! Du selbst weißt, daß mein Sohn der verheißene Mehdi ist, und du redest nur deshalb so, weil du dies meinem Sohn neidest.'

Imam Sādiq legte seine Hand auf den Rücken des Abu 1 Abbās Saffāh und erklärte: 'Abdullāh, dieser hier und sein Bruder werden das Kalifat antreten. Nicht aber du und deine Söhne.' Und indem er ihm nun die Hand auf die Schulter legte, fügte er hinzu:

'Du wirst an das Kalifat nicht kommen. Nicht du und nicht deine Söhne. Darum spiele sie nicht sinnlos dem Tod in die Hände. Jene dort werden nicht zulassen, daß ihr das Kalifat antretet - deine beide Söhne werden getötet werden.'

 

Mit diesen Worten erhob er sich und sagte leise zu Abdul Aziz Ibn Imrān Zuhari:

'Hast du ihn, ihn dort in dem gelben Gewand, gesehen?' (Gemeint war Abu Ğa'far Mansur). 'Nein', war die Antwort. Er daraufhin: 'Bei Gott, wir werden erleben, daß er die Söhne (Abdullāhs) töten wird.' Abdul Aziz war erstaunt und sagte mehr zu sich selbst: 'Aber er hat doch gerade eben erst Muhammad den Treueid geschworen. Er wird ihn töten, sagst du?!' Der Imam bestätigte: 'Ja, er wird es tun.'

Abdul Aziz berichtet: Lch dachte im Stillen, daß es doch nicht etwa Eifersüchtelei sei, die Sādiq so reden läßt?? Aber dann, bei Gott, ich erlebte noch, wie eben dieser Abu Ğa'far Mansur zum Mörder Muhammads und des anderen Sohnes Abdullähs wurde.'

Hinzufügen möchte ich, daß Imam Sādiq (a.s.) diesen Muhammad sehr gern hatte, und Abu 1 Farag schreibt:

Als der Imam ihn sah, füllten sich seine Augen mit Tränen, und er sagte voller Herlichkeit zu ihm:

'Mein lieber Junge, weißt du, die Leute reden darüber (Mahdawiat) etwas, das ganz und gar nicht stimmt. Und bedauerlicherweise glaubst du, was sie sagen - doch du wirst dabei getötet werden, ohne je das Kalifat angetreten zu haben.'

In dem Buch, das wir von Ali (a.s.) in Händen haben, wird Muhammad als Kalif nicht erwähnt. Das aber ist Hinweis darauf, das die Bewegung im Zeichen der "Mahdawiat" begonnen wurde. Das aber lehnte Imam Sādiq (a.s.) strikt ab, weshalb er erklärte:

'Ich bin zum Treueid bereit, wenn es um das Gebieten des Guten und Verwehren des Schlechten steht, nicht aber, wenn es darum geht, ihm als dem "verheißenen Mehdi" den Treueid zu leisten'

Die Bani Abbās dahingegen meinten in Wirklichkeit weder das eine noch das andere. Sie wollten die Macht, das Zepter...

Situation zu Zeiten Imam Sādiqs (a.s.)

Auf folgendes ist in diesem Zusammenhang hinzuweisen. Und zwar auf die Gegebenheiten zu Zeiten Imam Sādiqs (a.s.). Völlig andere Bedingungen und Voraussetzungen als bisher herrschten nun im Lande. Es war eine Zeit mannigfaltiger geistiger Strömungen und Bewegungen. Neue Gedanken kamen auf, flossen in die islamische Welt ein. Weit mehr als politische Aspekte und Tendenzen.

 

Die Zeit Imam Sādiqs (a.s.) beginnt mit dem zweiten Jahrzehnt des zweiten Jahrhunderts H.Q. und reicht bis zum fünften Jahrzehnt. Das heißt, als sein Vater im Jahre 114 H.Q. dahinschied, trat er das Imamat an und hatte es bis 148 H.Q., also bis zu seinem Tode, inne.

Mit anderen Worten: Seit Beginn des Islam waren etwa 150 Jahre vergangen, wovon die letzten hundert Jahre von Eroberangen gekennzeichnet waren. Inzwischen hatten sich bereits zwei, drei Generationen Neu-Muslime anderer Nationen und Länder der islamischen Welt angeschlossen. Seit der Herrschaft der Umawiden war zudem mit dem Übersetzen von Büchern und Schriften anderer Länder begonnen worden und Völkerschaften, die - jede für sich - von ihrer eigenen Kultur und Gedankenwelt geprägt waren, fanden Anschluß an die Reihen der Muslime.

In jenen Tagen war die politische Bewegung in der islamischen Welt eine verhältnismäßig kleine, geringfügige. Der kulturellen Strömungen und Bewegungen aber gab es viele, von denen etliche den Islam bedrohten. Damals war es auch, da die "Zandiq" von sich reden machten. Das heißt jene, die den Einen Gott, Sein Wort bzw. die Religion, die Er gab als auch den Propheten leugneten, denen aber aus irgendwelchen Gründen die Bani Abbās freie Hand ließen. Auch der Suffismus trat in Erscheinung, wenn auch in einer etwas anderen Variante. Rechtsgelehrte mit unterschiedlich fundamentierten Rechtslehren - "Fiqh" - machten von sich reden.

Kurz - gedankliche und geistige Strömungen und auch Gegensätze zeichneten sich in der islamischen Welt ab, wie es sie niemals zuvor und auch niemals danach gegeben hatte.

Wie gesagt, die Zeit Imam Sādiqs (a.s.) unterschied sich himmelweit von der Imam Hussayns (a.s.)- Zu Zeiten Imam Hussayns wurde schon jeglicher anderslautende Gedanke im Keime abgewürgt und abgedrosselt. Aus dem gleichen Grunde ist es auch, daß wir von ihm - aus der gesamten Zeit seines Imamats - nicht mehr als fünf, sechs Hadite haben. Anders zu Zeiten Imam Sādiqs (a.s.).

Infolge dieser Vielfalt an geistigen und kulturellen Strömungen und Gegensätzen aber entstand eine Situation, die es erlaubte, daß selbst die Namen der viertausend Schüler des Imam schriftlich festgehalten werden konnten.

Daher: Jene, die annehmen, die politische und gesellschaftliche Situation zu Zeiten Imam Sādiqs sei wie die zu Zeiten Imam Hussayns gewesen - was natürlich nicht stimmt -, irren sich gewaltig. Ganz abgesehen davon:

Wenn Imam Hussayn (a.s.) nicht das Schahādat, das unbestreitbar von großer Folgewirkung war, gefunden hätte, was wäre dann von ihm geblieben? Da ihm doch sämtliche Wege und Türen versperrt worden waren?

 

Anders zu Zeiten Imam Sādiqs. Auch wenn sein Schahādat nicht so auswirkungsstark war wie das Imam Hussayns (a.s.), so vermochte er doch eine große geistig-wissenschaftliche Bewegung in der islamischen Welt einzuleiten und zu führen. Eine Bewegung, die von hohem Einfluß und Wert war, und nicht nur für die Schi'ah.

Das heißt also:

Imam Sādiq (a.s.) war möglicherweise eine winzige, wenn auch noch so geringfügige Chance gegeben, das Kalifat an sich zu nehmen. Denn in seiner Zeit war eine Situation eingetreten, da alle, die Anspruch auf das Kalifat erhoben, in Bewegung gerieten, um es zu erwerben. Mit Ausnahme Imam Sādiqs, der sich zurückzog. Aus guten Gründen...

Es war nur noch eine Frage der Zeit, wann den Bani Umayyah das Zepter genommen werden und auf andere übergehen würde. Nämlich auf die Bani Abbās. Wie wir sahen, setzte sich für sie sogar jemand wie Abu Salmah ein. Abu Salmah, der ranghöher als Abu Muslim war, denn er wurde als "Wazir Āle Muhammad" bezeichnet, dieweil man zu Abu Muslim "Amir Āle Muhammad" sagte. Allerdings, späterhin, als die Bani Umayyah ihrer Macht enthoben waren und die Bani Abbās das Staatsruder in Händen hatten, änderte Abu Salmah seine Meinung und wollte nun jemandem aus den Reihen Āl Alis das Kalifat ermöglichen. Weshalb er dann jenen besagten Brief in zweifacher Ausfertigung schrieb - eine für Imam Sādiq (a.s.), eine für Abdullah Mahd. Freuen darüber tat sich jedoch nur Abdullah. Imam Sādiq (a.s.) aber ging über die Zeilen gleichgültig hinweg und verbrannte sie sogar. Ungelesen. Wie er sagte, als Antwort auf das Schreiben. Darüber haben wir jedoch bereits ausführlich gesprochen...

Jedenfalls wird aus all dem deutlich und offenkundig, wie sehr sich Imam Sādiq in dieser Angelegenheit - nämlich das Kalifat und die Macht an sich zu nehmen - zurückhielt. Nichts unternahm er, daß Hinweis auf ein Interesse am Kalifat gewesen wäre.

Warum ging er so vor? Aus guten Gründen. Denn zweifellos - wenn die Voraussetzungen wirklich günstig gewesen wären und der Imam damit hätte rechnen können, das Kalifat zu übernehmen, so hätte er sich darum bemüht...

Dennoch, da und dort wird die Frage laut: Warum untemahm der Imam nichts, auch wenn er kaum eine Chance hatte, auch wenn er dabei den Tod gefunden hätte. Schließlich, Imam Hussayn (a.s.)...

Und wieder wird sein Vorgehen dem Imam Hussayns (a.s.) gegenübergestellt...

Warum handelte Imam Hussayn in dieser Weise, Imam Sādiq aber in jener?!

So wird gefragt...

In diesem Zusammenhang ist es angebracht, wenn wir uns ein wenig mit der Zeit, in der Imam Sādiq (a.s.) lebte als auch seinem erfolgreichen Engagement für den Islam befassen. Vorweg aber: Seien wir uns dessen gewiß, daß Imam Hussayn (a.s.), wenn er in der gleichen Situation und Zeit gewesen wäre, ganz gewiß ebenso vorgegangen wäre wie Imam Sādiq (a.s.). Doch die Zeit, in der er lebte, unterschied sich gewaltig von der Imam Sādiqs.

 

Wie war es zu ihrer Zeit?

Etwa hundert Jahre lagen zwischen ihnen - zwischen der Zeit Imam Hussayns und der Imam Sādiqs (a.s.). Das Schahādat Imam Hussayns (a.s.) trug sich im Jahre 61 H.Q., und Imam Sādiq (a.s.) schied im Jahre 148 H.Q. aus diesem Leben. Genau siebenundachtzig Jahre lagen zwischen dem Tod des einen Imam und dem des anderen. Und damit auch zwischen den Zeiten, in denen sie lebten.

Im Laufe dieser siebenundachtzig Jahre aber hatte sich die Situation in der islamischen Welt total verändert. Zu Zeiten Imam Hussayns ging es im Wesentlichen nur um eins, nämlich: um Regierung und Kalifat. Alles beruhte darin, das Kalifat bedeutete und besagte alles. Was ansonsten noch zur Debatte stand war, wer mit dem Kalifat beauftragt wurde bzw. war.

Einfluß und Macht des Kalifats waren auf sämtlichen Ebenen stark zu spüren. Muawiahs Despotie waren geradezu sprichwörtlich. Das heißt, Situation und Bedingungen waren so, daß er es sich herausnehmen konnte, nach und nach selbst das Atemholen so quasi zu verbieten. Unmöglich, daß im Lande etwas gesagt werden durfte, was der Politik des Kalifats nicht entsprach. Sogar wenn jemand Positives über Imam Ali (a.s.) sagen oder mitteilen wollte, so getraute er sich dies nur, wenn er absolut sicher war, daß niemand zuhörte, der ihn verraten könnte. Nur im Verschwiegenen, hinter verschlossenen Türen, wurde über derlei gesprochen.

Eine äußerst erdrückende Atmosphäre, die seinerzeit herrschte. Vergessen wir nicht, damals war offiziell angeordnet worden, daß bei allen Gemeinschaftsgebeten, die stattfanden, Amir al Mu'minin Ali (a.s.) verflucht wurde. Selbst in Medina, von der Minbar in der "Moschee des Propheten" aus. Und so geschah es dann auch. Sogar in Anwesenheit Imam Hassans und Imam Hussayns (a.s.)...

 

Aus diesem Grande wird auch über Imam Hüssayns (a.s.) so gut wie nichts überliefert. Nichts von ihm, kein Wort, kein Hadit, keine Ansprache, keine Information oder Erklärung von ihm wird aus der Zeit nach dem Schahādat Imam Alis (a.s.) bis zur Widerstandsbewegung Hussayn Ibn Alis berichtet. Das heißt, die Imame (a.s.) waren in jener Zeit - von Staats wegen - dermaßen isoliert, daß sich niemand getraute, mit ihnen auch nur den geringsten Kontakt aufzunehmen. Und wenn Imam Hussayn auch noch weitere fünfzig Jahre gelebt hätte, so hätte sich nichts geändert, Kein Wort von ihm wäre überliefert worden. Kurz, es war eine Zeit, in der jegliches Engagement von vornherein im Keime erstickt wurde.

Dann, ab der letzten Phase der Umawidenherrschaft, als deren Ende immer näher heranrückte und insbesondere zu Beginn der Abbassiden-Āra, änderte sich diesg Situation. Allerdings nicht etwa einer freiheitlicheren Gesinnung der Abbassiden wegen - nein, keinesfalls! Sondern deswegen, weil die inzwischen international angewachsene islamische Gesellschaft dies erforderte. Darum, weil das Denken der Leute ein freieres geworden war. Weil sich so nach und nach etwas wie Gedanken- und Meinungsfreiheit anbahnten.

Zudem aber war das Interesse für Wissen und Wissenschaft gestiegen. Und zwar in einem Maße, wie es kaum jemals zuvor oder hernach in einer Bevölkerung zu beobachten war. Voller Begeisterung strebte man nach Wissen. Nach allen nur erreichbaren Wissensdingen. Nach Glaubenswissen, also einem Wissen, das direkten Bezug zum Islam hatte wie Koranlesen, -rezitieren, -interpretieren, Haditwissen, Fiqh etc. als auch nach Wissen, das mit dem Glauben nichts zu tun hat. Wie beispielsweise Mathematik, Astrologie, Medizin, Physik, Chemie, Philosophie...

In den Geschichtswerken ist viel darüber geschrieben worden. Darüber, daß es in der islamischen Welt mit einem Male zu einen erstaunlich starken Wissensdrang kam, zu einem immens hohen Wunsch und Bestreben, zu forschen und zu ergründen. Und wenn jemand neue Gedanken anbringen wollte, so standen ihm Tor und Türe dazu offen. Das heißt, er wurde daran nicht gehindert...

Mit anderen Worten, eine Situation war eingetreten, die zuvor, vor der Zeit Imam Sadiqs, undenkbar gewesen wäre. Erst ab der letzten Zeit des Imamats Imam Bāqirs (a.s.) zeichnete sich so ganz allmählich dieser geistige Umbruch ab. Jeder, der wollte und etwas wußte, konnte sich nun Wort melden und sagen, was er dachte.

Wie war es dazu gekommen?

Mehrere Faktoren waren es, die dies bewirkt hatten. Und wenn die Abbassiden diese Entwicklung auch hätten verhindern wollen, sie hätten es nicht gekonnt.

Denn - ich sagte es bereits - auch andere Völker waren inzwischen hinzugekommen. Es waren nunmehr nicht nur Araber, die zur islamischen Welt zählten, sondern noch viele andere. Und beweglicher und aktiver als alle waren die Iraner.

Zu den Völkerschaften und Rassen, die hinzugekommen waren, gehörten die Iraner, Ägypter, die Mesopotamier und Syrer, wobei letztere -Mesopotamier und Syrer - besonders gelehrt und gebildet waren. Ihre Gebiete waren in jener Zeit Metropolen für Kultur und Zivilisation. Und sie alle brachten automatisch auch ihre spezifischen kulturellen und nationalen Besonderheiten mit sich. Damit aber war eine wichtige Voraussetzung zu einem Austausch von Gedanken und Auffassungen geschaffen. Und wer von ihnen dem Islam zugeneigt war bzw. sich ihm zugewandt hatte, wollte immer mehr über ihn in Erfahrung bringen. Die Araber waren lange nicht so sehr an einem Ergründen und Erforschen des Koran und seiner Aussagen interessiert wie die Neu-Hinzugekommenen. Diese vertieften sich mit erstaunlichem Eifer in den Koran und bemühten sich darum, ihn Wort für Wort zu erfassen und zu verstehen.

 

Differenzen, Kontroversen

Doch nicht nur das. Denn wir sehen, wie sich mit einem Male Kontroversen und Dispute - Kontroversen und Dispute ideologischer Art -abzeichnen. Immer mehr wachsen sie an. Flammen auf, flammen hoch. Immerhöher...

Es beginnt mit heißen Debatten über die Art und Weise korrekten Rezitierens und Interpretierens des Koran. Eine Gruppe bildet sich, die den Namen "Qurā' " erhält. Also jene, die den Koran auswendig zu rezitieren vermögen und in der Lage sind, die richtige Aussprache der koranischen Worte und Verse zu lehren. Schließlich gab es damals ja noch nicht gedruckte Koran-Exemplare, wie wir sie heute in Händen haben. Der eine sagt: 'Ich rezitiere den Koran gemäß dem, wie der und der es von diesem und jenem Prophetengefährten übermittelte.' (Meistenteils beriefen sie sich auf die Rezitation Amir al Mu'minins Ali (a.s.) ). Ein anderer sagt: 'Meine Koranrezitation entspricht dem, wie uns der und der weitergab.'

Und so sitzen sie in der Moschee, rezitieren den Koran und lehren ihr Rezitieren alle, die es ebenfalls lernen möchten. Vor allen Dingen sind es Nicht-Araber, die an diesen "Kursen" teilnehmen. Darum, weil vor allen Dingen sie es sind, die mit der arabischen Sprache nicht vertraut sind und zudem mit großem Interesse den Koran lesen und richtig rezitieren wollen.

 

Und so scharen sie sich um den Rezititations-Meister, der in die Moschee kommt und Schüler um sich versammelt, die von ihm lemen möchten...

Daß es ab und an auch unter den Rezitatoren zu Differenzen kam, ist nicht ausgeschlossen.

Lebhafte Diskussionen aber entwickelten sich vor allen Dingen im Zusammenhang mit der Interpretation der Verse des Heiligen Koran.

Ist diese Auslegung richtig oder jene?!

Wie gesagt, heiß und hoch ging es her. Der eine bestand auf dieser Interpretation, der andere auf jener. Was die Hadite des Propheten anbelangte, war es nicht anders. Auch über deren Bedeutung und Aussage wurde oftmals heftig debattiert. Und welch große Ehre war es doch für den, der Ahādit auswendig wußte. Da saß er dann inmitten der anderen und sagte und fragte: lch habe den Hadit von dem und dem gehört, und dieser überlieferte ihn laut dem Propheten. Ist die Überlieferung korrekt? Ist der Hadit in diesem Wortlaut gebracht worden?'

Zu hitzigen Disputen kam es bisweilen im Zusammenhang mit religiösen Rechtsfragen. Die Leute kamen und wollten dies und jenes erklärt wissen. Wie sie sich beispielsweise in diesem und jenem Fall verhalten sollen und so fort. Ebenso, wie es auch heute üblich ist. Auch diesbezüglich bildete sich ein Kreis heran. Die Gruppe der "Fuqahā", wie sie bezeichnet wurden. Sie beantworteten - in verschiedenen Zentren - die religiösen Fragen der Muslime: Das eine war erlaubt, das andere nicht. Das war "halāl", das andere "harām". Dieses war "rein", jenes "unrein". Jene Transaktion war korrekt, die andere ungültig...

Medina war ein solches Zentrum. Auch in Kufeh gab es eins, dort, wo Abu Hanifeh wirkte. Ebenfalls in Basrah. Später, als Andalusien - noch zu Lebzeiten Imam Sādiqs (a.s.) - erobert wurde, entstand auch dort ein solches Zentrum. Jede der namhaften islamischen Städte fungierte gleichzeitig als islamisches Zentrum.

Nach und nach hieß es: 'Der und der "Faqih"72 vertritt die und die Auffassung, jener Faqih dahingegen meint dies und das.' Die einen wurden als Schüler jener Fiqh-Schule bezeichnet, die anderen als Absolventen einer anderen. Kurz, auch im Zusammenhang mit Fiqh-Fragen kam es zu heißen Debatten und gar Differenzen.

Noch hitziger - nicht wichtiger! - die rein theologischen Diskussionen. Schon ab erstem Jahrhundert nach der Hiğrā bildete sich eine Gruppe, die als Gruppe der "Mutikallim" bezeichnet wurde.73 Diese "Mutikallim" diskutierten über theologisch-ideologische Themen, über die Wesentlichkeit

72   Faqih: Gelehrter des islamischen Religionsgesetzes (Fiqh)

73   Eine Bezeichnung, die auch Imam Sādiq (a.s.) nennt.

der Religion. Über Gott, über Gottes Eigenschaften und Attribute, über Gott betreffende Koranverse. Beispielsweise: Ist diese oder jene Eigenschaft Gottes eine in Seinem Wesen begründete oder nicht? Ist dies oder das hinzugekommen, neu oder immer so gewesen...

Sie erörterten das Prophetentum und die göttliche Offenbarung, sprachen über Satan, Monotheismus und Dualismus. Sind die gottesdienstlichen Werke - "Amal" - eine Säule des Glaubens? Das heißt, ohne sie kein Glaube? Oder haben sind sie separat vom Glauben einzustufen?

Sie diskutierten, sprachen über göttliche Vorsehung und Bestimmung, über Fatalismus und freie Entscheidungsgewalt. Wie gesagt, die "Mutikallimin" beschworen heiße Debatten herauf.

Gefährlicher - nicht hitziger, nicht bedeutender! - waren die "Zandiq". Sie wiesen den Einen Gott und die Himmlischen Relgionen zurück. Lehnten sie rundweg ab. Und hatten dabei freie Hand - aus welchen Gründen auch immer. Selbst in den heiligen Städten wie Mekka und Medina, selbst in der "Heiligen Moschee" oder der "Moschee des Propheten" saßen sie und hielten ihre Reden. Wenngleich auch mit dem Argument: 'Ein Gedanke ist es, der uns keine Ruhe gibt - eine Unklarheit, ein Zweifel. Wir müssen unbedingt darüber sprechen.' 74

Die "Zandaqeh" waren die Erneurer, sozusagen die "Modernisten" und Gebildeten ihrer Zeit. Sie verstanden Alt-Syrisch, die wissenschaftliche Sprache jener Tage. Und die meisten von ihnen kannten sich auch im Griechischen aus. Sehr viele von ihnen waren iranischer Herkunft, konnten also Persisch. Und nicht wenige waren auch in der indischen Sprache bewandert - sie waren es auch, die die Zandiqlehre aus Indien ins Land brachten.

Eine der geistigen Strömungen jener Zeit - und keine von ihnen war gemäßigt - war die der suffistisch-angehauchten Extrem-Frommen. Auch sie traten in der Zeit Imam Sādiqs (a.s.) in Erscheinung. Das heißt, als regelrechte Gemeinschaft, als Gesellschaftsschicht, die großen Zulauf hatte, kennen wir diese extrem-frommen Suffisten seit jener Zeit. Und sie traten nicht etwa als Sekte oder ähnliches auf, sondern sagten glattweg: 'Der wahre, wirkliche Islam ist der, den wir publizieren.' Sie predigten eine extremdogamtische Lehre und sagten: 'Das ist der Islam. Genau das sagt und will er'

Es war reinste Frömmelei,was sie trieben - unerträglich!

Auch die Khawariğ und Murğa'ah waren Sekten...

74 In diesem Zusammenhang folgende Begebenheit: Eines Tages kam Ibn Abil Auga' zu Imam Sādiq (a.s.) und sagte: 'O Sohn des Gesanden Gottes - dein Urgroßvater war es, der uns unsere Religion brachte, und ich bin recht gut im Bilde.. Aber, du weißt ja selbst, wenn etwas in dcr Luftröhre sitzt und stört, dann muß es durch Husten herausbefördert werden. So ist es nun mal. Auch Zweifel und Unklarheiten, die sich im Geist des Menschen festsetzen, müssen heraus. Durch "gedankliches Husten". Auch ich muß meine Gedanken "heraushustcn". Bitte, erlaube mir darum, sie zur Sprache zu bringen' Der Imam antwortete: 'So sprich denn...'

 

Wie reagierte Imam Sādiq (a.s.)?

Mit all diesem war Imam Sädiq (a.s.) konfrontiert, und allem begegnete er.

Was das Rezitieren und Interpretieren des Koran betraf, so waren die einen seine Schüler, dieweil er sich mit den anderen auseinanderzusetzen hatte. Er erklärte, korrigierte, mahnte...

Warum interpretierten einige nur so absurd?! Warum rezitierten sie den Koran nur so falsch?!

Er machte auf die inkorrekten, unwahren Ahādit, die einige überlieferten, aufmerksam und sagte: Sie sind nicht korrekt. Unwahr. Sie haben weder Hand noch Fuß! Richtige, korrekte Ahādit sind die, die wir von unseren Vätern und dem Propheten überliefern.

Was die verschiedenen Fiqh- bzw. Rechtsschulen anbelangte, so war die Imam Sādiqs (a.s.) die stärkste und größte. Selbst die Sunniten stimmen dem zu. Sämtliche Imame der sunnitischen Rechtsschulen waren - direkt oder indirekt - Schüler Imam Sādiqs.

An der Spitze der Imame Ahl-Tassanuns rangierte Abu Hanifah. Wie berichtet wird, war er zwei Jahre lang Schüler Imam Sādiqs. In sunnitschen Schriften und Quellen ist nachzulesen, daß er - Abu Hanifah - sagte:

'Wenn diese zwei Jahre nicht gewesen wären, so wäre Nu'mān75 zugrundegegangen.'

Mālik Ibn Anas, ein weiterer Imam Ahl Tassanuns, ist ebenfalls ein Zeitgenosse Imam Sādiqs (a.s.). Auch er war Schüler von ihm und betrachtete dies als Ehre.

Schäfi'i gehört der darauffolgenden Zeit an. Er war Schüler der Schüler Abu Hanifahs und auch Schüler Mālik Ibn Anas.

Wie er war auch Ahmad Hanbal indirekter Schüler Imam Sādiqs. Darum, weil er Schüler dessen Schüler war. Und ebenfalls andere Gelehrte.

Die Schule Imam Sādiqs war weitaus mehr besucht und erfolgreicher als die der anderen Fuqahā. Hierzu einige Aussagen der Gelehrten Ahl-Tassanuns.

75 Nu'mān ist der Name Abu Hanifahs. Sein richtiger Name ist: Nu'mān Ibn Täbat Ibn Zuty Ibn Marzbān

 

Mālik Ibn Anas über Imam Sādiq (a.s.)

Mālik Ibn Anas, ein recht wohlwollender und umgänglicher Mensch, war in Medina und suchte Imam Ğa'far s Sādiq (a.s.) auf. Er berichtet: Ich ging zu Ğa'far Ibn Muhammad, und mir fiel auf, daß zumeist ein Lächeln auf seinen Lippen lag. Das heißt, er war freundlich, entgegenkommend - nicht finster oder grimmig. Charakteristisch für ihn war, daß sich - sobald der Name des Propheten erwähnt wurde - seine Gesichtsfarbe änderte. (Das heißt, wenn der Prophet erwähnt wurde, war er so sehr bewegt, daß sich seine Gesichtsfarbe änderte.) Eine Zeitlang verkehrten wir miteinander...

Und er berichtet darüber, daß Imam Ğa'far s Sādiq (a.s.) oft und intensiv in Gottesanbetung versank. Daß er ein wahrer Gottesdiener war, voller Tugend und Ehrfurcht vor Gott.

Auch folgendes überliefert Mālik:

Ich war mit Imam Ğa'far unterwegs - nach Mekka, zum Hağ. Wir hatten Medina hinter uns gelassen und die Moschee "Al Schağarah" erreicht, um uns in "Ihrām"76 zu hüllen. Wir waren gerade dabei, "Labbaik..." 77 zu rufen und - nun offiziell "muhrim" - unsere Reittiere zu besteigen, als mein Blick auf den Imam fiel. Er wollte "Labbaik..." sagen, doch er war innerlich so sehr bewegt, daß er - vor lauter Ehrfrucht vor Gott - zu zittern begann und beinahe von seinem Reittier gefallen wäre. Ich näherte mich ihm und fragte: O Sohn (Nachkomme) des Gesandten Gottes - nun sag es schon (nämlich "Labbaik") Schließlich mußt du es sagen.

Und er antwortete: Wie kann ich es so einfach und leichthin sagen? Bedenke doch nur, wer es ist, dem ich "Labbaik" sage?! Wenn Er mir aber nun antwortet: "Lā Labbaik"78 - was dann?!

Dies ist eine Riwāyat, die Schaykh Abbās Qumi und auch andere in ihren Büchern überliefern. Alle bringen diese Riwāyat. Ich zitiere sie hier - wie schon gesagt - gemäß der Überlieferung des Rāwis79 Mālik Ibn Anas, dem Imam Ahl-Tassanuns80.

76   Ihrām: zählt mit zu den verschiedenen Hağetappen. Während des Ihrām- bzw. Muhrim-
Zustands ist dcr Pilger in weiße,ungenähte Tücher gehüllt (Frauen tragen einfache weiße
Gewänder) und hat bestimmteIhrām-Regeln einzuhalten. Dazu gchört beispielsweise, kein
hartes, unfreundliches Wort zu sprechen,niemanden zu quälen, nicht einmal eine Fliege
oder Mücke darf fortgeschlagen oder gar getötetwerdcn - und derlei Bestimmungen mehr.
interessierte können  meh/ darüber  auszuverlässigen  Schriften  oder bei  kompetenten
Personen erfahren.

77   Labbaik, Allah humma labbaik: Ja Gott, wir folgen deinem Aufruf, wir kommen...

78   Wenn Gott mein "Labbaik" aber verneint, was dann?

79   Rāwi: Überlieferer, Berichterstatter

80   Ahl-Tassanun: Sunniten

 

Auch überliefert er:

'Niemals ist jemand jemandem begegnet und niemals hat jemand von jemandem gehört, der gelehrter gewesen wäre als Ğa'far Ibn Muhammad.'

Muhammad Schahrestāni - Verfasser des Buches "Al Milal wan Nahl" und einer der hervorragendsten Philosophen, Theologen und Gelehrten des fünften Jahrhunderts nach der Hiğra - berichtet in "Al Milal wan Nahl" über die verschiedenen Religionen, Lehren und philosophischen Richtungen. An einer Stelle schreibt er über Imam Sādiq (a.s.):

'Sein Wissen war voller Vitalität, er zeichnete sich aus durch hohe Weisheit und Gesinnung, und er war voller Tugend und Ehrfurcht vor Gott, enthaltsam und fern von Sinnlichkeit und Begier. Er lebte in Medina, lehrte die Wissenschaften und war eine Zeitlang auch in Irak.'

Er weist zudem darauf hin, daß sich der Imam von der Politik distanzierte und sagt:

'Mit niemandem stritt er sich bezüglich des Kalifats.'

Erklärend fügt er hinzu:

'Der Imam war so sehr in Weisheit und Wissenschaft vertieft, daß ihn derlei gar nicht interessierte.'

Ich erwähne dies hier nicht, um diese seine Erklärung zu bestätigen, sondern deswegen, um darauf aufmerksam zu machen, daß auch Schahrestāni Wissen und hohe Gelehrtheit des Imam würdigt.

Er erläutert:

'Denn wer versunken ist in einem Meer an Weisheit und Wissen, ist an einem kleinen, seichten Gewässer nicht mehr interessiert'

(Er will damit sagen: Derlei (Politik, Staatsgeschäfte) sind gemesssen an dem "Meer an Weisheit und Weisheit" gleich einem seichten, nichtssagenden Gewässer)

Und weiter:

'Wer den Gipfel der Wahrheit erklommen hat, fürchtet nicht mehr, abzustürzen.'

Er - Schahrestāni - der in dieser Weise über Imam Ğa'far s Sādiq (a.s.) spricht, ist jedoch ein heftiger Gegner der Schi'ah. In "Al Milal wan Nahl" setzt er der Schi'ah dermaßen zu, als ob er sämtliche Grenzen vergessen hätte. Aber - Imam Sadiq (a.s.) schätzt und würdigt er. Und das läßt aufhorchen.

Auch heute gibt es recht viele Gelehrte, die erbitterte Gegner der schiitischen Lehre sind, wohl aber Imam Ga'far s Sādiq (a.s.) - auf den die schiitische Lehre bzw. Schule als solche zurückzuführen ist - ehren und achten. Ob sie wohl annehmen, daß das, was ihnen im Zusammenhang mit der schiitischen Glaubensrichtung nicht behagt, nicht von Imam Sādiq ist?

Jedenfalls - Imam Sādiq (a.s.) selbst bringen sie Wertschätzung entgegen.

 

Und Ahmad Amin?

Ahmad Amin gehört unserer Zeit an. Er ist Ägypter, und aus seiner Feder stammen "Fağr ul Islām", "Duha 1 Islām", "Duhr al Islām" und "Yawm ul Islām" - Werke, die zu den wesentlichen sozialkundlichen Werken der letzten hundert Jahre zählen. Aber auch er ist von dem Kontra-Schi'ah-Bazillus erfaßt. Obwohl er über Ahl-Taschayyuh nicht viel zu wissen scheint, ist er deren erklärter Gegner. Dennoch, wie aus seinen Büchern hervorgeht, die ich alle gelesen habe, bringt er keinem der Imame Ahl-Tassanuns soviel Wertschätznng entgegen wie Imam Sādiq (a.s.). Er überliefert beispielsweise Worte voller Weisheit aus dem Munde Imam Sādiqs. Worte, die soweit mir bekannt ist, niemand der schiitischen Gelehrten jemals überlieferte.

Was meint Ğāhiz?

Meiner Meinung nach übertrifft jedoch das, was Ğāhiz über Imam Sādiq (a.s.) sagt, alles bisher Gesagte. Gähiz ist ein wirklicher "Mullā" 81 - ein Mullā, der gegen Ende des zweiten bis Anfang des dritten Jahrhunderts H.Q. lebte. Ein Lehrer und Pädagoge im wahrsten Sinne des Wortes. Doch nicht nur das. Er ist ebenfalls - so kann man wohl sagen - ein Soziologe seiner Zeit und Historiker dazu. Von ihm ist ein Buch namens "Kitāb ul Haywān", ein tierkundliches Werk, das heute noch die Beachtung der europäischen Zoologen findet. Wie sie sagen, wird in seinem Buch so manches erörtert, das für die damalige Welt - für die Welt der Griechen als auch Nicht-Griechen - beispiellos war. Wohlgemerkt - in jenen Tagen hatten die griechischen Wissenschaften noch keinen Zugang zur islamischen Welt gefunden. Mit anderen Worten: Ğāhiz tat in seinem Werk Ansichten kund, die zuvor - soweit bekannt wurde - noch niemand kundgetan hatte.

Auch Ğāhiz ist durch und durch Sunnit. Heftig und sich ereifernd. Er führte Diskussionen mit einigen der Schi'ah, die dazu führten, daß der eine und andere ihn als "Näsibi" einstufte. Ob das stimmt, ob er ein "Näsibi" war, weiß ich nicht. (Allerdings hat er das eine und andere anklingen lassen).

Kurz, seine Zeit ist ungefähr die Imam Sādiqs (a.s.). Vielleicht hat er noch - als Kind - das Ende der Zeit des Imam miterlebt. Mag aber auch sein,

81 Mullā: Lehrer, Geistlicher

 

daß Imam Sādiq eine Generation vor ihm war. Daß heißt, sie lebten ungefähr in einer Zeit - also zeitlich gesehen nicht weit voneinander entfernt.

Er äußert jedenfalls über den Imam folgendes:

Ğa'far Ibn Muhammad hat die Welt angefüllt mit seinem Wissen und seinen theologischen Kenntnissen. Und es wird berichtet, daß Abu Hanifah und Sufiān Thawri - die zu den großen Gelehrten und Mystikern ihrer Zeit zählten - Schüler des Imam waren.

Wie dachte Mir Ali Hendi?

Mir Ali Hendi,»einer unserer Zeitgenossen und Sunnit, sagt:

'Die Verbreitung der Wissenschaften in jener Zeit trug dazu bei, daß das Denken freier, daß den Gedankeh die Fesseln genommen wurden.

Geistige bzw. philosophische Dispute und Debatten wurden in der islamischen Welt jener Tage gang und gebe.'

Und:

'Vergessen wir nicht, daß jener, der diese geistige Bewegung und Vitalität in der islamischen Welt lenkte, ein Urenkel Ali Ibn Abi Tālibs war. Nämlich der, welcher als "Imam Sādiq" bekannt war. Sein geistiger Horizont war äußerst weit und ausgedehnt, und sein Verstand, seine Gedanken tief- und weitreichend. Für die Wissenschaften seiner Zeit zeigte er erstaunliches Interesse.1

Mir Ali Hendi fügt hinzu:

'In Wirklichkeit war er der erste, der richtiggehende, sich auf Verstand und Logik stützende Schulen in der islamischen Welt errichtete.'

Und er sagt:

'Nicht nur große geistliche Gelehrte wie Abu Hanifah waren seine Schüler, sondern auch Studenten der rationalen Wissenschaften.'

Worte des Ahmad Zaki Sālih

In "Al Islam as Sādiq" zitiert Muzzafar eine Aussage des Ahmad Zaki Sālih - der ebenfalls einer unserer Zeitgenossen ist. Sālih schreibt in der Zeitschrift "Ar-Ressālat ul Misriah", daß das wissenschaftliche Interesse der Schi'ah weitaus stärker und freudiger war als aller anderen islamischen Glaubensrichtungen.

Damit will ich andeuten, wie sehr auch heute noch diese Realität anerkannt wird. Das allein schon ist beachtenswert.

 

Die Iraner führen diese Tatsache allerdings auf sich selbst zurück. Sie sagen: Es war ein "iranisches Interesse". Obwohl doch diese freudige Interessiertheit für die Wissenschaften der Schi'ah zuzuschreiben ist und zu jener Zeit die Mehrheit der Schi'ah nicht iranisch war. Die meisten der Schi'ah jener Tage waren Nicht-Iraner. Doch das ist jetzt nicht unser Thema...

Der Ägypter Ahmad Zaki Sālih sagt:

'Wer im Bilde ist, weiß, daß wissenschaftliches Interesse besonders in den schiitischen Glaubensrichtungen gegeben war. Zuerst war es die Schi'ah, die religiöse Themen geistig-rational anging.'

Die Schi'ah aber ist gleich Imam Sādiq.

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