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Friday 19th of April 2024
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Die AfD ist drittstärkste Kraft: Ein Weckruf für deutsche Muslime

Der Schock bei den etablierten Parteien über das gute Abschneiden der AfD bei den Bundestagswahlen ist groß. Es hagelt Schuldzuweisungen, vor allem in Richtung Angela Merkel. Sie hätte die Sorgen der Bürger nicht ernst genommen, und vor allem dominiert auch jetzt das Wort „Flüchtlingskrise“ den politischen Diskurs. Dieses Wort würde ich schon mal als Unwort des Jahres vorschlagen. Denn nicht die Flüchtlinge haben eine Krise verursacht, sondern die Krise des Kapitalismus hat Flüchtlinge verursacht. Aber immer noch werden die Flüchtlinge als Sündenbock Nr. 1 gehandelt, quer über alle Gesellschaftsschichten und politische Richtungen hinweg.

Mich schockiert das Ergebnis der AfD nicht, sondern viel mehr die Reaktionen. Nicht etwa der Jagdtrieb eines Alexander Gauland. Sondern vielmehr die Tatsache, dass es die neoliberale FDP wieder in den Bundestag geschafft hat. Auch die Reaktion von Frau Merkel ist etwas beängstigend: Denn die Union wolle die Wähler der AfD zurückgewinnen, „durch Lösung von Problemen, durch Aufnehmen ihrer Sorgen, auch ihrer Ängste zum Teil, aber eben vor allen Dingen durch gute Politik“.[1]

Weiterhin sagt Frau Merkel, dass es darum gehe, für wirtschaftlichen Wohlstand zu sorgen. Für wen? Für die, denen es sowieso gut geht? Außerdem gehe es darum, ein starkes Europa zu bauen und illegale Migration und Fluchtursachen zu bekämpfen.

Meint sie mit der Bekämpfung der Fluchtursachen, das Embargo gegen Syrien aufzuheben? Faire Handelsbedingungen für afrikanische Länder? Verbot jeglicher Waffenverkäufe an Saudi-Arabien? Einstellung der Waffengeschenke an Israel? Wenn ja, würde es mich freuen, aber ich fürchte, dass nur der erste Teil, nämlich die Bekämpfung illegaler Migration umgesetzt werden wird, um der AfD das Wasser abzugraben für die nächste Wahl.

Schon im Wahlkampf wurde deutlich, wie die AfD die etablierten Parteien vor sich her trieb. So überdeckte die „Flüchtlingskrise“ alle anderen Themen. Selbst im TV-Duell Merkel vs. Schulz kamen die Kinder- und Altersarmut, die wirklich große Bevölkerungsschichten betreffen, nur am Rande vor. Dafür ging es umso mehr um Flüchtlinge, Islam und Integration. Der CSU-Spitzenkandidat Joachim Herrmann sagte, es gelte, die rechte Flanke zu schließen, und wiederholte erneut die Forderung nach einer Obergrenze.

Ähnliches war von Sahra Wagenknecht (Die Linke) zu vernehmen, die schon lange innerhalb ihrer Partei dafür kritisiert wird, dass sie zuweilen rechte Positionen bedient. Martin Schulz äußerte sinngemäß gestern Abend im Fernsehen, er müsse selbstkritisch anmerken, dass es seiner Partei nicht gelungen sei, die Wähler davon zu überzeugen, dass Deutschland es schafft, die Herausforderung durch die Flüchtlinge zu bewältigen.

Insgesamt lesen sich die Reaktionen von Politik und Medien aber eher so: Merkel war zu flüchtlingsfreundlich. Hätte sie mehr Flüchtlinge im Mittelmeer ertrinken lassen sollen, als ohnehin schon?

Ich befürchte, dass die etablierten Parteien sich noch mehr die Positionen der AfD zu eigen machen werden, um die rechtsgerichtete Wählerschaft nicht zu verprellen bzw. zurückzugewinnen. Aber das wird nichts bringen, der entsprechend gestrickte Wähler wählt eher das Original. Was viele nicht wahrhaben wollen: Die AfD ist nur eine weitere Systempartei, die ins Leben gerufen wurde, um die Kapitalismuskrise geschickt in Richtung der vermeintlichen Flüchtlingskrise umzuleiten, und die rechte Wählerschaft ließ sich nur zu gern ablenken. Wenn der Köder der einfachen Lösungen für komplexe Probleme ausgeworfen wird, wird er schnell angenommen.
Reaktion der Muslime

Auch und gerade bei den deutschen Muslimen und einigen Linken ist der Jammer jetzt groß in den sozialen Netzwerken. Es werden wieder düstere Szenarien heraufbeschworen, manche sehen gar wieder Züge rollen. Aber das ist wirklich an den Haaren herbeigezogen. Wir Muslime in Deutschland sind inzwischen über 5 Millionen. Mindestens, denn die Dunkelziffer ist hoch, weil die, die inzwischen konvertiert sind, nicht registriert werden. Manche geben Deutschland schon ganz verloren und liebäugeln mit Auswandern, wobei nicht klar ist, ob das wirklich ernst gemeint ist.

Zu Resignation und Panik besteht kein Anlass. Im Gegenteil, ich betrachte den Wahlausgang sogar als Chance für die deutschen Muslime, diesen endlich mal als Weckruf zu begreifen, sich zu einigen, statt weiterhin gegeneinander zu kämpfen. Es gibt mittlerweile zwei Migrantenparteien, die sich gegenseitig in den sozialen Netzwerken beharken wie kleine Kinder im Sandkasten, statt die wirklich wichtigen Themen, wie die soziale Gerechtigkeit, anzugehen. Ganz davon abgesehen, dass zwei Kleinstparteien schon mal überhaupt keine Chance haben. Stattdessen hat gerade bei den türkischstämmigen Muslimen während des Wahlkampfs das Thema Erdogan dominiert, egal ob es sich dabei um Erdoganbefürworter oder -gegner handelte.

Wenn man mit einem Bein im Ausland lebt, und das gilt nicht nur für die Muslime mit türkischen Wurzeln, dann darf man sich nicht wundern, wenn über einen hinweg bestimmt wird. Wir waren zu passiv, haben uns in unsere Nischen verkrochen und uns nicht weiter eingebracht. Ein Stück weit kann ich diesen Rückzug sogar nachvollziehen, denn dann bekommt man weniger Unangenehmes mit. Denn Islamfeindlichkeit und Hass treffen ja vor allem die, die die Sprache sprechen, Berufstätigkeit, Studium oder Ausbildung nachgehen, also kurzum die draußen im Leben sind, nicht so sehr diejenigen, die in ihren Kokons leben. Dort lebt es sich zwar erst mal bequemer – aber nur weil man gewisse Dinge nicht hören will, sind sie deswegen nicht aus der Welt.

Der von den Medien als „Armutsforscher“ titulierte Prof. Christoph Butterwegge referierte vor einiger Zeit in Delmenhorst über Kinder- und Altersarmut. Dreimal darf man raten, wie viele Muslime anwesend waren. Das gilt auch für andere Veranstaltungen ähnlicher Art. Glauben wir eigentlich, dass uns das alles nichts angeht? Zumal die meisten Muslime hier zum unteren Einkommenssegment gehören.

Wir befinden uns jetzt in den Tagen von Imam Hussein (a.). Jeder, der nur ein wenig von seiner Geschichte studiert hat, weiß, dass er es mit unvergleichlich schlimmeren Kräften zu tun hatte als mit einer Handvoll Rechtspopulisten, wegen denen so viele jetzt jammern. Es wird von uns (noch) nicht verlangt, erst unsere Familien, dann unser eigenes Leben aufzuopfern. Aber das Mindeste, was wir tun können als Anhänger der Befreiungstheologie Imam Husseins (a.), ist Solidarität zu zeigen mit den Unterdrückten. Diejenigen, die dieses Wahlergebnis am meisten treffen wird, haben keine Chance, etwas dagegen zu tun. Daher müssen wir unsere Stimme umso lauter erheben.

Weiterhin muss der Bevölkerung klar gemacht werden, dass wieder Arm gegen Arm aufgehetzt wird. Wie sonst ist es zu erklären, dass die AfD in einem von vielen finanziell Schwachen, Migranten wie Nichtmigranten, bewohnten Delmenhorster Stadtteil 24,5 % geholt hat? Auswanderungsfantasien bringen uns jetzt auch nicht weiter, so weit ist es noch lange nicht. Ich sehe auch nicht ein, warum ich meine Heimat den Rechtspopulisten überlassen soll. Außerdem sollten wir nicht die allein lassen, die nicht so einfach wegkönnen, weil sie keine zweite Heimat haben.

Reißen wir auch allen etablierten Politikern und Medien ihre Masken vom Gesicht, die jetzt lautstark das Wahlergebnis bejammern. Haben sie nicht dafür gesorgt, dass man einiges „ja endlich mal sagen darf“? Mit Sarrazin beispielsweise, für dessen Buch die zionistische Springerpresse eifrig warb, fing die Islamophobie zwar nicht an, aber bekam einen neuen Auftrieb.

„Der Spiegel“ lancierte vor einigen Jahren eine islamophobe Kampagne übelster Art, da war von der AfD noch nicht die Rede, auch wenn sie eventuell schon in Planung war. Die gleichen Medien lamentieren jetzt scheinheilig über den Erfolg der AfD. Aber sie wissen ja, dass sie sich auf das schlechte Gedächtnis der Bevölkerungsmehrheit verlassen können. Sie haben die Saat für all das gelegt.

Wir Muslime müssen verstehen, dass wir eine Verantwortung für Deutschland tragen. Es wird Zeit, sie endlich wahrzunehmen.

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